

Das Problem mit der Männlichkeit
1. Dezember 2025Visbeker Unternehmen AAT entwickelt Verfahren zur Geschlechtsbestimmung von Küken.
Die Legehennen-Branche hat ein Problem – Hähne. Männliche Küken von Legehennen legen keine Eier, sind aber auch ökonomisch-effizient nicht für den Hähnchenfleischmarkt geeignet. Und daher werden in der EU jährlich bis zu 390 Millionen männliche Küken wenige Stunden nach dem Schlüpfen getötet, früher oft geschreddert, heute vergast, und zu Heimtierfutter verwertet. Diese Tötung nach dem Schlüpfen ist seit dem 1. Januar 2022 in Deutschland verboten – und das Problem für die Legehennen-Branche war da, die Branche stand unter Druck.

Denn: „Die Aufzucht männlicher Küken für die Fleischproduktion ist weder ökonomisch noch nachhaltig“, sagt Jörg Hurlin, Geschäftsführer der Firma Agri Advanced Technologies GmbH (AAT) in Visbek (Kreis Vechta). Das Gesetz von 2022 erlaubt aber – inzwischen in der Fassung vom 1. Januar 2024 – einen Abbruch des Brutvorgangs vor dem 13. von 21 Bruttagen. Denn nach wissenschaftlichen Studien kann das Schmerzempfinden der Hühnerembryonen nicht mehr klar ausgeschlossen werden. Abgebrochen werden soll aber natürlich nur die Entwicklung von männlichen Küken. Dafür wurden Verfahren der Geschlechtsbestimmung im Ei entwickelt.
Zum Beispiel: Anpiksen des Eis, Entnahme von Flüssigkeit und hormonelle oder genetische Bestimmung des Geschlechts (invasive Methode). Oder: Durchleuchtung des Eis und Geschlechtsbestimmung anhand der Gefiederfarbe (nichtinvasive Methode). Hierauf hat sich AAT in Visbek spezialisiert und dafür jetzt den Innovationspreis 2025 des Verbundes Oldenburger Münsterland erhalten.
Bild: Nur weibliche Embryonen werden ausgebrütet. Foto: AAT

Der Weg dorthin war kein leichter, resümiert AAT-Geschäftsführer Hurlin. Der Agraringenieur war gerade zur EW-GROUP in Visbek gekommen, als ihm 2015 sein Chef Erich Wesjohann das Problem auf den Schreibtisch legte. Wesjohanns EW GROUP ist weltweit führend in der Geflügelzucht. „An etwa 50 Prozent aller Frühstückseier weltweit ist die Genetik der EW GROUP beteiligt“, weiß Johanna Werneke, bei AAT für das Marketing zuständig. Hurlin gründete AAT und fing an, nach Lösungen zu suchen. Die Vorgabe: „Keep it simple“ – einfach und kostengünstig, aber zuverlässig und umweltschonend. Mit Fördergeld aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium und Kooperationen mit Universitäten und Instituten hatte man nach gut zwei Jahren ein Verfahren entwickelt – „und wir sind damit gescheitert“, wie der 43-Jährige heute unumwunden zugibt. „Keine leichte Zeit für mich.“ Im zweiten Anlauf aber klappte es dann, und pünktlich zum gesetzlichen Aus des Kükentötens Ende 2021 war das Verfahren auf dem Markt.
Und wie funktioniert dieses Verfahren? Einfach beschrieben: Eine Palette mit Bruteiern wird am 11. oder 12. Bruttag in einer geschlossenen Messkammer von unten mit einer Halogenlampe durchleuchtet, während eine Hyperspektralkamera von oben Aufnahmen macht. Ein Algorithmus wertet die Aufnahmen aus. Erkannt werden unbefruchtete Eier, Eier männlichen Geschlechts (mit weißer Befiederung) und Eier weiblichen Geschlechts (mit dunkler Befiederung). Ein Sauggreifer nimmt die Bruteier mit den weiblichen Embryonen aus der Palette. Sie werden weiter ausgebrütet. Bei den anderen Eiern wird der Brutvorgang abgebrochen. Sie sind eine hochwertige Proteinquelle und werden z.B. als Heimtierfutter verwendet.
Bild: Die Cheggy-Anlage, Foto: AAT
Vorteile des Verfahrens
AAT-Geschäftsführer Hurlin kommt ins Schwärmen, wenn er von den Vorteilen der Methode spricht. „Die Treffergenauigkeit des Geschlechts ist sehr hoch, 98 Prozent. Das Verfahren ist schnell. Anders als bei den Verfahren mit Flüssigkeitsentnahme gibt es bei unserem Verfahren keine Kontaminations- oder Verletzungsgefahr für den Embryo. Unsere Methode ist besonders umweltfreundlich, weil sie sehr energieeffizient ist und keine Verbrauchsmaterialien benötigt werden. Und sie ist im Vergleich zu anderen Technologien das derzeit kostengünstigste Verfahren auf dem Markt.“
Einen Namen musste die Anlage, in der das ganze Verfahren abläuft, natürlich auch bekommen: Cheggy, und in der inzwischen weiterentwickelten Version, die jetzt ausgezeichnet wurde, Cheggy Zoom. Man kann es sich denken: In dem Namen stecken die englischen Begriffe checken für prüfen und Egg für Ei.

Hurlin weiß aber auch: „Die perfekte Lösung bei der In-ovo-Geschlechtsbestimmung ist Cheggy noch nicht.“ Denn Cheggy kann es nur bei braunen Bruteiern, also Eiern von Hennen mit brauner Gefiederfarbe. In Deutschland aber sind 60 Prozent aller Legehennen sogenannte Weißleger und nur 40 Prozent Braunleger. In den USA etwa kommt man sogar auf 90 Prozent Weißleger, während in Südeuropa die Braunleger dominieren. Insgesamt gibt es weltweit aber mehr als drei Milliarden braune Legehennen. „Daraus ergibt sich für uns ein erhebliches Marktpotenzial. Nach Europa haben wir den Sprung über den großen Teich geschafft und als erstes Unternehmen die Geschlechtsbestimmung auch in den USA und Brasilien eingeführt“, freut man sich bei AAT. „Aber wir drücken unsere Technik nicht in den Markt. Der Markt muss auf uns zukommen“, sagt Hurlin.
Und der Markt sollte in den nächsten Jahren auch insgesamt wachsen. Denn weitere Länder bereiten Gesetze zum Verbot des Kükentötens vor: in Italien etwa kommt es 2027. Leider werde die Diskussion in den europäischen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich geführt und einzelne Länder verfolgten dieses Tierschutzthema mit unterschiedliche starkem Nachdruck. „Es bleibt spannend abzuwarten, wie sich Brüssel in den nächsten Jahren zu dieser Thematik positionieren wird“, so Hurlin.
Bild: Steuer-Panel der Cheggy-Anlage, Foto: AAT

Bei AAT hat man aber auch festgestellt: Je wohlhabender eine breite Mittelschicht in Ländern wird, umso bedeutender wird auch die ethische Frage des Kükentötens. Hierin sieht AAT auch eine Erklärung für den möglich gewordenen Markteintritt in Brasilien. In den USA sehe man so eine Entwicklung in den wohlhabenderen Regionen an der Ost- und Westküste. „Die spannende Frage wird dabei sein: Wieviel mehr ist der Verbraucher zu zahlen bereit für Eier ohne Kükentöten?“, weiß Hurlin. Denn teurer machen alle Verfahren der Geschlechtsbestimmung das Ei. Doch der Geschäftsführer und sein inzwischen achtköpfiges Team sehen auch hier das AAT-Verfahren im Vorteil. Im Vergleich zu andren Verfahren, etwa dem invasiven, ergebe sich ein klarer Kostenvorteil, da auf Verbrauchsmaterialien verzichtet werden könne.
Bei AAT beschäftigt man sich aber nicht nur mit der Geschlechtsbestimmung im Legehennen-Ei. „Wir sind ein Spezialist für vielfältige Technologien rund um die Geflügelzucht und -haltung“, erklärt der Geschäftsführer. Entwickelt wurde zum Beispiel der weltweit erste vollautomatische Impfroboter für Geflügel, wofür das Unternehmen im vergangenen Jahr mit der Goldmedaille bei der Messe EuroTier in Hannover ausgezeichnet wurde. Oder eine automatische und chemiefreie Brutei-Desinfektion mit Elektronenstrahlung. Oder eine Sortiermaschine für Masthähnchen-Elterntiere während der Aufzucht.
In Visbek ruht man sich auf den bisherigen Erfolgen nicht aus. Im Visier ist inzwischen die Geschlechtsbestimmung für alle Bruteier von Legehennen – egal ob braun oder weiß. Bei rund sieben Milliarden Legehennen weltweit wäre der Markt dann mehr als doppelt so groß wie heute.
Bild: Jörg Hurlin im Eierlager, Foto: AAT
Oberes Bild: Jörg Hurlin und die von ihm und seinem Team entwickelte Cheggy-Anlage, Foto: AAT
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