• Hössensportanlage

    Unpolitische Orte?

    Sportstätten im Olden­burger Land

Sportstätten sind Orte der Be­we­gung und der Fit­ness, aber mehr noch Orte der Grup­pen­dy­na­mik und des Wett­kampfs. Dabei hat die Me­dail­le zwei Sei­ten. Je stär­ker das Ge­mein­schafts­ge­fühl, desto ve­he­men­ter kann Aus­gren­zung und Ma­ni­pu­la­tion statt­finden.

19. Januar 2022

 1931 Freiübungen
Bild: Freiübungen, 1931, Foto: Stadtarchiv Westerstede
Dass Sport­stät­ten kei­ne harm­lo­sen Treff­punk­te sind, an denen nach dem Tennis-Match oder dem Fuß­ball­spiel noch ge­mein­sam eine Cola im Vereins­heim ge­trun­ken wird, das zeigt jetzt ein neues For­schungs­pro­jekt der Olden­bur­gi­schen Land­schaft. Unter dem Titel „Un­po­li­ti­sche Orte? Sport­stät­ten und ihre ge­sell­schaft­liche Be­deu­tung“ ging das Pro­jekt im Juli 2021 an den Start und wirkt in­zwi­schen bun­des­weit.

Bei der tief­schür­fen­den Unter­suchung der lo­ka­len Sport­plät­ze und Turn­hal­len wird der Fokus auf die Jahre von 1930 bis 1970 ge­legt, denn es ist zu­gleich jener Zeit­raum, in dem die Chro­ni­ken der Ver­eine und Sport­stät­ten gro­ße Lücken auf­wei­sen. „Auf­grund die­ser De­fi­zi­te sehen wir hier gro­ßen Auf­klä­rungs­be­darf. Von den Ins­ti­tu­tio­nen selbst wer­den im Rück­blick nicht selten nur die Er­folgs­ge­schich­ten er­zählt, doch auch die dunk­len Ka­pi­tel müs­sen ihre Be­ach­tung fin­den“, er­läu­tert die Pro­jekt­lei­te­rin Merle Bülter. Vor allem jun­gen Men­schen ein Ge­schichts­be­wusst­sein zu ver­mit­teln, ist Ziel des Projekts.
1931 Reckturnen
Bild: Reckturnen, 1931, Foto: Stadtarchiv Westerstede
„Bis heute ver­ste­hen sich selbst große Ver­bän­de wie die UEFA eher als un­po­li­tisch, doch wir möch­ten ins Be­wusst­sein rücken, dass Sport mehr ist als eine rei­ne Frei­zeit­be­schäf­ti­gung“, er­gänzt Markus Völling als stu­den­ti­scher Mit­ar­bei­ter des Pro­jekts. Er hat sich in­ten­siv mit den Sport­ver­einen in der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus be­fasst. „Nach dem Füh­rer­prin­zip der Nazis wurde der Ver­eins­vor­stand durch einen Ver­eins­füh­rer er­setzt“, so Völling. „In der Folge wurde der so­ge­nann­te ‚Arier­pa­ra­graph‘ ein­ge­führt, wel­cher die Auf­nah­me nicht­ari­scher Mit­glie­der ver­hin­der­te und eben­so für deren Aus­schluss sorg­te. Vor die­sem Hin­ter­grund“, schließt Völling, „waren die Sport­stät­ten auch ein Ort der In­dok­tri­nie­rung der Be­völ­kerung.“

Als Beispiel der Unter­suchung dient die Sport­an­la­ge ‚Hössen‘ in Wes­ter­stede. Nachdem die so­ge­nann­te Hössenweide, zu der ein etwa zwei Hektar gro­ßer Wald ge­hör­te, im Jahr 1926 von der Ge­mein­de Wes­ter­ste­de er­wor­ben wurde, dien­te sie ab 1927 als Sport­platz für Fuß­ball, Sprung und Kugel­sto­ßen. Die fo­lgen­den Jahre sind in der Ver­eins­his­to­rie ein wei­ßer Fleck. Jü­di­sche Sport­le­rin­nen und Sport­ler wur­den be­reits nach der Gleich­schal­tung 1933 aus­ge­schlos­sen. Als die Turn- und Sport­ge­mein­de, kurz TSG, eine Turn­halle und eine Lauf­bahn plan­ten, die Stadt je­doch nicht über die nö­ti­gen Mit­tel ver­füg­te, wurde die NSDAP um einen fi­nan­ziel­len Zu­schuss ge­be­ten. Im Ge­gen­zug wurde die Partei Grund­stücks­ei­gen­tü­mer. Die Sport­halle der SA, die 1940 fer­tig­ge­stellt wurde, zeigt mit dem auf­fäl­li­gen Säu­len­por­tal die ty­pi­sche Nazi-Ar­chi­tek­tur. Zeit­gleich wurde zu den ersten Hössen­wett­kämp­fen ein­ge­la­den. Die Ge­schich­te der Wes­ter­ste­der Sport­an­la­ge ist kein Einzelfall.
Hössenwettkämpfe 1951
Bild: Hössenwettkämpfe, 1951, Foto: Stadtarchiv Westerstede
Der Ausschluss von Sport­le­rin­nen und Sport­lern ge­schieht noch immer, sei es auf­grund der Her­kunft, Spra­che oder Re­li­gion. Mob­bing be­ginnt mit­un­ter schon in der Um­klei­de­ka­bi­ne. „Nur Auf­klä­rung kann davor schüt­zen, dass jun­ge Men­schen ein Be­wusst­sein über Aus­gren­zungs­mecha­nis­men und In­te­gra­tion ent­wickeln“, sagt Merle Bülter, „und das ge­schieht am wir­kungs­volls­ten an einem Ort, den die Kin­der und Ju­gend­lichen selbst ken­nen, mit dem sie sich iden­ti­fi­zie­ren kön­nen. Indem wir mit dem Thema Sport kon­kret an ihre Le­bens­wirk­lich­keit an­knüp­fen, sind The­men wie Aus­gren­zung oder In­klu­sion nicht so abstrakt.“

Um das Projekt unter den jun­gen Men­schen be­kannt zu machen, gehen Merle Bülter und Markus Völling in die Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten. Ge­mein­sam mit Ar­chi­ven, Heimat- und Orts­ver­einen, Mu­seen und Bi­blio­the­ken unter­stüt­zen sie in­te­res­sier­te Schü­le­rin­nen und Schü­ler sowie Stu­die­ren­de bei For­schungs­ar­bei­ten, Haus­ar­bei­ten oder Zeit­zeu­gen-Inter­views. Die Turn­hal­len und Sport­area­le wer­den nicht nur theo­re­tisch unter­sucht, son­dern auch ge­mein­sam be­sucht. Die über­re­gio­na­le Ver­net­zung ist im Auf­bau und ein Pod­cast und eine Pu­bli­ka­tion sind ge­plant. Wer In­te­res­se hat, sich sei­ner lo­ka­len Sport­stät­te zu wi­dmen, ist willkommen.
Initiiert hat das For­schungs­pro­jekt Prof. Dr. Uwe Meiners, seit 2019 Prä­si­dent der Olden­bur­gi­schen Land­schaft und ge­bür­ti­ger Wes­ter­ste­der. Von 1996 bis 2018 war er Di­rek­tor des Mu­seums­dor­fes Clop­pen­burg. Jahr­gang 1952, ist dem stu­dier­ten Volks­kund­ler die Hössen­sport­an­la­ge seit der Kind­heit vertraut.
Oberes Bild: Sport­halle auf der Hössen­sport­an­la­ge, Foto: Stadtarchiv

Autorin

Birgit Denizel

Birgit Denizel

Birgit Denizel ist als freie Kultur- und Kunst­wis­sen­schaft­le­rin tätig.

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Unpolitische Orte?

Sportstätten und ihre ge­sell­schaft­liche Be­deu­tung

Oldenburgische Land­schaft
Gartenstraße 7
26122 Oldenburg

Aufgrund der Corona-Pan­de­mie ist die Ge­schäfts­stelle nur nach vor­he­ri­ger Ter­min­ver­ein­ba­rung für den Pu­bli­kums­ver­kehr geöffnet.

Kontakt:

Merle Bülter M.A.
Projektleiterin
Telefon: (0441) 77918–23
E-Mail: buelter@oldenburgische-landschaft.de

Mehr Informationen unter

https://www.oldenburgische-landschaft.de/menschen/podcasts/

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Birgit Denizel ist als freie Kultur- und Kunst­wis­sen­schaft­le­rin tätig.

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