• Dr. Thomas Hildebrandt

    Stärken mehr benennen

    Interview mit dem scheidenden IHK-Chef Dr. Thomas Hildebrandt

Die Industrie im Olden­bur­ger Land ist bisher gut durch die Corona-Pan­de­mie ge­kom­men. Das meint der Haupt­ge­schäfts­füh­rer der Olden­bur­gi­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer (IHK), Dr. Thomas Hildebrandt, der Ende des Jahres in den Ruhe­stand geht. Die duale Aus­bil­dung sei ein „tolles Pro­dukt“, müsse sich aber etwas ein­fal­len las­sen, um wei­ter für die Ju­gend­lichen at­trak­tiv zu sein, for­dert Hildebrandt im Inter­view mit dem Ma­ga­zin der Öffent­lichen Olden­burg „Wir sind Nähe“.

15. Dezember 2021

Dr. Thomas Hildebrandt
Bild: Dr. Thomas Hildebrandt, Foto: IHK/ Andreas Burmann
Frage: Herr Dr. Hildebrandt, Sie kön­nen auf fast 20 Jah­re in der Ge­schäfts­füh­rung der Olden­bur­gi­schen IHK zu­rück­blicken, die letz­ten Jah­re als Haupt­ge­schäfts­füh­rer. Wie fällt Ihre per­sön­liche Bilanz aus?

Dr. Thomas Hildebrandt: Ich hätte mir ge­wünscht, dass ins­be­son­de­re die letz­ten bei­den Jah­re nicht so stark durch die „Ab­wehr­schlacht“ gegen die Pan­de­mie­aus­wir­kun­gen ge­prägt ge­we­sen wären. Klas­se und mo­ti­vie­rend war die bis zum letz­ten Tag zu­packen­de Zu­sam­men­ar­beit mit dem Ehren­amt. Es ist uns gut ge­lun­gen, The­men wie In­fra­struk­tur, Trans­for­ma­tion oder die in­ten­si­ve­re Zu­sam­men­ar­beit mit den Hoch­schu­len und an­de­ren stra­te­gi­schen Part­nern stär­ker für un­se­re Mit­glie­der zu ge­stal­ten. Vor mei­nem Wech­sel in die Haupt­ge­schäfts­füh­rung war ich ja seit 2002 als Ge­schäfts­füh­rer des Be­reichs Aus- und Wei­ter­bil­dung tätig. Davor wie­derum habe ich mich an Hoch- und Fach­hoch­schu­le gern um Fragen von Ef­fek­ti­vi­tät ge­küm­mert. Es ging damals stark um Per­so­nal, Res­sour­cen­scho­nung und Mar­ke­ting. Ich nahm sei­ner­zeit an, dass die Ge­stal­tungs­mög­lich­kei­ten noch deut­lich grö­ßer wären, näm­lich Bil­dungs­pro­zes­se ins­be­son­de­re schnel­ler, ef­fek­ti­ver, ef­fi­zien­ter und mehr am Be­darf zu orien­tie­ren. Heute weiß ich mehr über das Rä­der­werk und die not­wen­di­gen Wege dort­hin. Ich wün­sche mir je­doch, dass sich zu­künf­tig – viel­leicht wie beim Thema Klima­wan­del – beim Thema Bil­dung schnel­ler mehr tut.

Leistungsstarker Mittel­stand

Frage: Sie sind ein Kind der Olden­bur­ger Region. Was macht das Olden­burger Land aus?

Hildebrandt: Ich em­pfin­de das Olden­bur­ger Land als eine in­te­res­san­te Mi­schung aus länd­licher und städtischer Struk­tur ohne eine gro­ße Me­tro­pole. Die Wirt­schaft be­steht vor allem aus einem leis­tungs­star­ken Mit­tel­stand. Auch die grö­ße­ren Unter­neh­men en­ga­gie­ren sich für das Olden­bur­ger Land, nicht nur durch Wert­schöp­fung, son­dern auch kul­tu­rell durch die För­de­rung span­nen­der Pro­jek­te in der Re­gion. Viele Füh­rungs­kräf­te kennen sich, es gibt gut funk­tio­nie­ren­de Kon­tak­te, man trifft sich häu­fig. Das ist von gro­ßem Vorteil.

Frage: Wo sehen Sie wei­te­re Stär­ken, wo Schwä­chen des Olden­burger Landes?

Hildebrandt: Sicherlich ist es eine Schwäche, dass wir hier unsere Stär­ken nicht deut­lich genug be­nen­nen. Das hat wohl auch mit dem Men­schen­schlag zu tun, der eher zum Un­der­state­ment neigt. Das Olden­bur­ger Land ist eine Wachs­tums­re­gion; das wird uns immer wie­der be­schei­nigt, spie­gelt sich aber in der me­dia­len Welt gar nicht so wider. Wir haben hier unter den Unter­neh­men viele „Hidden Champions“ und eine tolle Grün­der­szene. Das Wirt­schafts­po­ten­zial ist sehr groß. Ein Bei­spiel: Wil­helms­haven, das „Tor zur Welt“, wo der­zeit gro­ße Chan­cen im Zu­sam­men­hang mit dem Ener­gie­trä­ger Was­ser­stoff lie­gen. Auch die kon­kre­te Zu­sam­men­ar­beit mit den Hoch­schulen – von Wil­helms­haven über Olden­burg bis Vechta – ist ein gro­ßes Pfund mit oft weit über das Land hinaus­strah­len­der Ex­per­tise – ich nenne da nur stell­ver­tre­tend das In­for­ma­tik-Institut OFFIS.

Agrarbranche wird sich ver­än­dern müssen

Frage: Der Menschen­schlag hier ist sehr hei­mat­ver­bun­den – eine Stärke oder eher eine Schwäche?

Hildebrandt: Ich habe es eben an­ge­deutet, bei­des! Ver­wur­ze­lung ist ge­nau­so wich­tig wie auch Wan­de­rungs­be­we­gun­gen Im­pul­se mit sich brin­gen, die die Re­gion daher auch braucht.

Frage: Die Industrie des Olden­bur­ger Landes wird do­mi­niert von einem Wirt­schafts­zweig: der Agrar- und Er­näh­rungs­bran­che. Stärke oder Schwäche?

Hildebrandt: Bisher war es ein­deu­tig eine Stärke. Doch seit ei­ni­gen Jah­ren hat die Ge­sell­schaft an­de­re An­sprü­che an die­se Bran­che. Darauf muss sie rea­gie­ren und einen Trans­for­ma­tions­pro­zess vor­an­trei­ben. Dann bleibt die Stär­ke eine Stär­ke. Aber Stärke be­deu­tet glück­licher­weise auch, dass es immer Trieb­kräfte gab, die die Stärke auf­recht­er­hal­ten. Das traue ich den Ak­teu­ren ab­so­lut zu. Aller­dings muss die Po­li­tik dies mit Rah­men­be­din­gun­gen unter­stüt­zen – Stich­wort: ein klu­ges und fle­xi­bles Bau­recht, so dass die Ver­än­de­rungs­pro­zesse in der Er­näh­rungs­wirt­schaft funktionieren.

Frage: Wie ist die olden­bur­gi­sche Wirt­schaft bisher durch die Corona-Pan­de­mie gekommen?

Hildebrandt: Wenn man einmal von Gas­tro­no­mie, Tou­ris­mus und Ver­an­stal­tungs­bran­che ab­sieht, die sehr arg ge­beu­telt sind, ist die In­dus­trie bisher gut durch die Pan­de­mie ge­kom­men. Wir haben enor­me Inno­va­tions­kraft ge­se­hen. Gut auf­ge­stell­te Fir­men haben ihre Er­trä­ge hal­ten kön­nen. Zu­sam­men­ge­fasst: Die Krise ist schmerz­haft, war aber kein Todes­stoß, hat die Re­gion wahr­schein­lich sogar eher ge­stärkt als ge­schwächt. Sicher hat es Markt­be­rei­ni­gun­gen ge­ge­ben. Aber in neun Jahren Auf­schwung wurde so man­che Schwäche über­deckt, die in der Pan­de­mie dann sicht­bar wurde und auch dann und wann zu exis­ten­ziel­len Schwie­rig­kei­ten bzw. zum Unter­neh­mens­ende geführt hat.

Imagegewinn für IHK in der Pandemie

Frage: Die IHK war als Be­ra­ter in der Krise stark gefragt . . .

Hildebrandt: . . . und wir haben ge­lie­fert! Wir haben schnell eine Corona-Hot­line für die Unter­neh­men auf­ge­baut. Durch un­se­re gu­ten Ver­bin­dun­gen und unsere Kom­pe­tenz konn­ten wir den Unter­neh­men wert­volle In­for­ma­tio­nen ver­mit­teln. Das ist sehr po­si­tiv auf­ge­nom­men wor­den und hat der IHK auch einen Ima­ge­ge­winn ge­bracht. Durch den guten Kon­takt in die Unter­neh­men haben wir deren Be­den­ken und Sor­gen sowie An­re­gun­gen und For­de­run­gen zu den ein­ge­setz­ten För­der­ins­tru­men­ten direkt nach Hannover und Berlin ver­mit­telt. Das war gut für alle Be­tei­lig­ten. Das hat uns als IHK als hilf­rei­chen und schnel­len Be­ra­ter in der Krise aus­ge­zeich­net. Lob kam von den Land­krei­sen, der NBank und ins­be­son­de­re von den Unter­nehmen.

Frage: Deutschland hat eine neue Bun­des­re­gie­rung. Wie be­wer­ten Sie die im Koa­li­tions­ver­trag ver­ein­bar­ten Vorhaben?

Hildebrandt: Wir bekommen in allen Wirt­schafts­be­rei­chen eine Ver­schie­bung in Rich­tung Nach­hal­tig­keit, von der In­dus­trie über die Ener­gie­er­zeu­gung bis hin zur Land­wirt­schaft. Der­zeit haben wir aber – neben der Corona-Krise – auch eine „Pro­zess-Krise“ der öffent­lichen Ver­wal­tung. Es fehlen schnel­le Pla­nungs­pro­zes­se und Fach­leute. Wenn wir den Umbau zur Nach­hal­tig­keit hin­be­kom­men wol­len, müs­sen die öffent­lichen Ver­wal­tun­gen fit­ter und an ei­ni­gen Stel­len auch deut­lich schnel­ler werden.

Bauchschmerzen bei der Ver­kehrs­in­fra­struktur

Frage: Sehen Sie im Koa­li­tions­ver­trag Ge­fah­ren für die Region?

Hildebrandt: Etwas Bauch­schmer­zen habe ich beim Thema Ver­kehrs­in­fra­struk­tur. Ich kann mir durch­aus vor­stel­len, dass die Po­li­tik sich noch einmal die ge­plan­te Küs­ten­auto­bahn A20 auf Nach­hal­tig­keit und Fi­nan­zier­bar­keit hin an­sieht und über­prüft. Meine Mei­nung: Die Fi­nan­zie­rungs­pro­ble­me, die die neue Bun­des­re­gie­rung für die Masse an neuen Pro­jek­ten offen­sicht­lich hat, wer­den dazu führen, dass „un­ge­lieb­te Pro­jek­te“ aus der Zeit vor der Wahl zur Kon­so­li­die­rung be­reits fer­tig ge­plan­ter Vor­ha­ben füh­ren werden. Was das für unsere Region be­deu­tet, bleibt ab­zu­warten.

Frage: Die Ampel-Koalition will den Schie­nen­ver­kehr stärken . . .

Hildebrandt: . . . was wir unter­stüt­zen. Wir haben eine Bahn­tras­sen-Ana­ly­se für den Nord­wes­ten in Auf­trag ge­ge­ben, die noch die­ses Jahr vor­ge­stellt wird. Sie soll zei­gen, wie viel zu­sätz­licher Ver­kehr über­haupt noch auf die vor­han­de­nen Tras­sen passt.

Frage: Nicht nur die öffent­lichen Ver­wal­tun­gen brau­chen Fach­leu­te, auch die Wirt­schaft sucht hände­rin­gend Fach­kräf­te. Sehen Sie hier eine Lösung?

Hildebrandt: Wir haben ein tolles „Pro­dukt“: die duale Aus­bil­dung in Be­trieb und Be­rufs­schu­le. Lei­der stre­ben zu viele Ju­gend­liche heute mit Abi­tur in ein Stu­dium. Da hilft es nicht, die duale Aus­bil­dung nur schön an­zu­strei­chen. Wir müs­sen sie klug an­pas­sen, um an die Ju­gend­lichen heran zu kom­men. Ein Bau­stein ist das dua­le Stu­dium, also Hoch­schul­stu­dium plus be­trieb­liche Aus­bil­dung. Viel­leicht soll­ten die Unter­neh­men auch ein­mal prü­fen, ob sie bei der Be­set­zung von Aka­de­mi­ker­stel­len nicht auch eine Leh­re als Vor­aus­set­zung verlangen.

Viel Zeit in Schweden verbringen

Frage: Ende des Jahres gehen Sie in den Ruhe­stand. Was macht Thomas Hildebrandt ab dem 1. Januar 2022?

Hildebrandt: Ganz ohne be­ruf­liche Tä­tig­keit werde ich nicht blei­ben. Ich werde wahr­schein­lich mit Part­nern frei­be­ruf­lich in der Per­so­nal-Or­ga­ni­sa­tions­ent­wick­lung tätig sein. Ich stelle immer wie­der fest, dass Unter­neh­men zwar ein Wei­ter­bil­dungs­bud­get ein­pla­nen, aber es letzt­lich nicht pro­duk­tiv genug aus­nut­zen – da ver­pufft sehr viel Geld. Das kann man sich heut­zu­tage über­haupt nicht mehr leis­ten. Ich sehe da einen rie­si­gen Be­reich, um Po­ten­zia­le zu heben. Und pri­vat habe ich mir vor­ge­nom­men, meh­re­re Mo­na­te im Jahr in Schwe­den zu ver­brin­gen. Wir haben da als Fa­mi­lie oft Urlaub ge­macht, und nun möch­te ich dort auch län­g­ere Zeit ver­brin­gen und schreiben.
Oberes Bild: IHK-Haupt­ge­schäfts­füh­rer Dr. Thomas Hildebrandt geht zum Jahres­ende in den Ruhe­stand. Foto: IHK/Imke Folkert

Autor

Klaus-Peter Jordan

Klaus-Peter Jordan

Klaus-Peter Jordan ist als freier Journalist tätig.

Mail an "Wir sind Nähe"

Zur Person: Dr. Thomas Hildebrandt

Dr. Thomas Hildebrandt ist ein Kind des Olden­bur­ger Landes. 1958 in Olden­burg ge­bo­ren, stu­dier­te er ab 1980 an der Carl-von-Ossietzky-Uni­ver­si­tät in Olden­burg Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten und pro­mo­vier­te hier auch. Nach Sta­tio­nen in Bil­dungs­ein­rich­tun­gen in Vechta kam er 2002 zur Olden­bur­gi­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer (IHK) als Ge­schäfts­füh­rer des Be­reichs Aus- und Wei­ter­bildung. 2017 wurde er stell­ver­tre­ten­der Haupt­ge­schäfts­füh­rer und 2019 Haupt­ge­schäfts­füh­rer. Zum Jah­res­ende 2021 geht er in den Ruhe­stand. Hildebrandt ist ver­hei­ra­tet und hat ein Kind.
Die Olden­bur­gi­sche IHK ver­tritt die In­te­res­sen von 68.690 Unter­neh­men im Olden­bur­ger Land, be­ste­hend aus den Land­krei­sen Ammer­land, Clop­pen­burg, Fries­land, Olden­burg, Vechta, Weser­marsch sowie den kreis­freien Städ­ten Del­men­horst, Olden­burg und Wil­helms­haven.

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Klaus-Peter Jordan

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Klaus-Peter Jordan ist als freier Journalist tätig.

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