Zeichnung als Kulturtechnik

Jubiläumsausstellung im Oldenburger Horst Janssen Museum

Zu sei­nem 20jäh­ri­gen Ju­bi­läum zeigt das Horst-Janssen-Mu­seum eine be­son­de­re Schau, die über die Gren­zen der bil­den­den Kunst weit hin­aus­geht. Alle Gat­tun­gen der Zeich­nung wer­den exem­pla­risch vor­ge­stellt. „Damit kom­men auch an­de­re Ak­teu­re wie Land­schafts­pla­ner, Kos­tüm­bild­ner, Urban Sketcher, Ge­richts­zeich­ner, Illus­tra­to­ren, Kin­der und eine Platt­form wie Pinterest ins Mu­seum“, so die Idee des Ku­ra­to­ren­teams. Auf zwei Ebe­nen wer­den rund 180 Ex­po­na­te ge­zeigt.

5. Oktober 2020

P. Modersohn-Becker Die linke Hand flachaufliegend, die rechte zeichnend um 1897
Bild: P. Modersohn-Becker Die linke Hand flachaufliegend, die rechte zeichnend um 1897, Foto: Paula Modersohn-Becker Stiftung
„Die linke Hand flach auf­lie­gend, die rech­te zeich­nend“, eine Blei­stift­stu­die von Paula Modersohn-Becker, kann als pro­gram­ma­tisch für die Aus­stel­lung an­ge­se­hen wer­den. Es ist Paulas ei­ge­ne Hand, die hier gleich­zei­tig denkt und han­delt. In die­sem Sinn wer­den ei­gent­lich alle Ideen im Auf­zeich­nen erst sicht­bar ge­macht. Wer beim Pa­tent­amt eine Er­fin­dung an­mel­den will, soll­te sei­nem An­trag eine Zeich­nung bei­le­gen. So mach­te das 1868 auch der Dach­decker Hahn in Heilbronn, des­sen „Pa­tent für eine neue Art von Maus- und Rat­ten­fal­len“ zu se­hen ist. Die Na­ger­pla­ge auf den Dach­bö­den des 19. Jahr­hun­derts wer­den ihn dazu ins­pi­riert haben. Dass auch auch ein schö­ner Gar­ten zu­nächst auf dem Pa­pier ent­steht, zei­gen ori­gi­na­le Pflanz­plä­ne von Joachim Winkler. Wie akri­bisch der Land­schafts­ar­chi­tekt den 23 ha gro­ßen Zi­ta­del­len­park plan­te, lässt sich sei­nen Feder­zeich­nun­gen ab­le­sen. Da­rauf hat er genau fest­ge­legt, wo die ein­zel­nen Ge­höl­ze, Stau­den und Blu­men­sor­ten ihren Platz haben. Illus­tra­tio­nen aus den Be­rei­chen Bo­ta­nik, Bio­lo­gie und Ana­to­mie ver­deut­lichen, dass auch die Wis­sen­schaft nicht ohne Zeich­nung aus­kommt. Gerade in der Ana­to­mie sind Fotos wenig auf­schluss­reich, wäh­rend eine ge­ziel­te far­bi­ge Her­vor­he­bung die Kör­per­tei­le und Funk­tio­nen sehr viel an­schau­licher macht. Bevor der Chi­rurg an den OP-Tisch heran­tre­ten darf, ist das ana­to­mi­sche Zeich­nen ein fes­ter Be­stand­teil des Me­di­zin­stu­diums.
Weniger zweck­ge­bun­den ist Urban Sket­ching, eine glo­ba­le Kunst­be­we­gung, deren Teil­neh­mer ur­ba­ne Si­tua­tio­nen skiz­zie­ren und oft­mals auch ko­lo­rie­ren. Zen­tra­ler Vor­satz dabei ist der Ver­zicht auf die Foto­gra­fie oder das Nach­ar­bei­ten aus der Erin­ne­rung. Es gilt, die Ein­drücke di­rekt vor Ort fest­zu­hal­ten. Bei­spie­le die­ser Ge­gen­be­we­gung zum schnel­len Handy-Foto stam­men von Jens Hübner, der die Me­tho­de auf sei­ner zwei­jäh­ri­gen Welt­um­run­dung mit dem Fahr­rad ge­nutzt hat.
F. Schroeder-Sonnenstern Alfa Omegaimplizissimius
Bild: F. Schroeder-Sonnenstern Alfa Omegaimplizissimius 1952 Foto: Galerie Brockstedt Berlin
Gegliedert ist die Aus­stel­lung in meh­re­re The­men­be­rei­che. Pik­to­gram­me oder eine Bau­an­lei­tung von Ikea zei­gen, dass Zeich­nung auch als uni­ver­sel­les Kom­mu­ni­ka­tions­mit­tel dient, Ka­ri­ka­tu­ren und Pres­se­zeich­nun­gen als mes­ser­schar­fe po­li­ti­sche Stel­lung­nah­me wir­ken und Zeich­nung ge­ne­rell Phan­ta­sien ab­bil­den kön­nen, die es sonst nur im Kopf gibt. Zu­gleich naiv wie bi­zarr er­schie­nen die Bunt­stift­bil­der von Friedrich Schröder-Sonnenstern (1892–1982). Der Auto­di­dakt, der inter­na­tio­nal als einer der wich­tigs­ten Ver­tre­ter der Outsider-Art gilt, ver­brach­te einen gro­ßen Teil sei­nes Le­bens in psy­chia­tri­schen Kli­ni­ken, bis er im Alter von etwa 50 Jah­ren zu zeich­nen be­gann und 1959 an der Pariser „Exposition Internationale du Surrealisme“ teil­nahm. Sei­ne Bild­welt wurde vom Pu­bli­kum einer­seits als Pro­vo­ka­tion auf­ge­fasst, an­de­rer­seits be­jubelt.  
Für die klei­nen Aus­stel­lungs­be­sucher sind neben den be­kann­ten „Wim­mel­bil­dern“ von Rotraud Susanne Berner auch die Ori­gi­nal­vor­la­gen des Kin­der­buchs „Manno!“ von Anke Kuhl zu ent­decken. Für ihre le­ben­di­gen Epi­so­den er­hielt Anke Kuhl, die darin ihre ei­ge­nen Kind­heits­erin­ne­run­gen auf­le­ben lässt, 2019 den Comic­buch­preis der Berthold Leibinger Stiftung.
Ein Jahr lang hat das fünf­köp­fi­ge Ku­ra­to­ren­team – Jutta Moster-Hoos, Sabine Siebel, Hedwig Vavra-Sirum, Lemya Demirkapi und Rene Klattenberg – an den Vor­be­rei­tun­gen ge­ar­bei­tet. Ihre These ist, dass eine Welt ohne Schreib- und Zei­chen­stif­te ei­gent­lich gar nicht denk­bar ist, ganz egal, ob auf dem Pa­pier oder dem Tablet.
 
Bild Übersichtsseite: Sonja Llebe Laengsschnitt durch den Augenbereich, Foto: Urban Fischer in Elsevier Verlag München

Autorin

Birgit Denizel

Birgit Denizel

Birgit Denizel ist Pro­jekt­lei­te­rin für kul­tur­his­to­rische Ver­mark­tung bei der Re­si­denz­ort Rastede GmbH.

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Die Aus­stel­lung „Das kann nur Zeich­nung! Von Beethoven bis Pinterest“ ist bis zum 17. Ja­nuar 2021 im Horst-Janssen-Museum zu sehen. Adresse: Am Stadtmuseum 4-8, 26121 Oldenburg, Öff­nungs­zei­ten: Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr.

Begleitet wird die Aus­stel­lung von einem um­fang­rei­chen Rah­men­pro­gramm, bei dem die Be­sucher selbst krea­tiv wer­den kön­nen:Zahl­reiche Work­shops laden dazu ein. An­ge­bo­ten werden Urban Sketching, Map­ping, Botanisches Zeichnen, Akt und Cho­reo­gra­fie. Vor­kennt­nis­se sind nicht er­for­der­lich. Außer­dem ist ein 90-sei­ti­ger Ka­ta­log er­schie­nen, der an der Mu­seums­kas­se für 25 Euro er­hält­lich ist.

Nähere Infor­ma­tio­nen unter

https://www.horst-janssen-museum.de

Autorin

Birgit Denizel

Birgit Denizel

Birgit Denizel ist als freie Kultur- und Kunst­wis­sen­schaft­le­rin tätig.

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