Urlaub mal anders

Im vergangenen Herbst habe ich eine spannende Woche in Thessaloniki verbracht, die kein Strandurlaub war und über die ich gerne berichten möchte

Bereits seit 2015 en­ga­gie­re ich mich in der Flücht­lings­hilfe in Fried­richs­fehn. Nun, drei Jahre spä­ter, sind alle meine Schütz­linge gut an­ge­kom­men und in­te­griert und brau­chen nicht mehr so viel Unter­stüt­zung, so konn­te ich einen Teil mei­nes En­ga­ge­ments in eine an­de­re Rich­tung len­ken.
Ich ver­folge be­reits seit län­ge­rer Zeit über Facebook eine in 2016 ge­grün­de­te Or­ga­ni­sa­tion mit Namen „DocMobile – Medical Help e.V.“, die sich für ob­dach­lose, flüch­ten­de Men­schen in Grie­chen­land ein­setzt und ihnen eine medi­zi­nische Ver­sor­gung an­bie­tet. Für mich stand fest, hier will ich auch prak­tisch hel­fen.
Da ich be­reits Kon­takt zu eini­gen Mit­strei­tern hatte, war ruck­zuck alles or­ga­ni­siert und es ging los. Natür­lich war ich sehr auf­ge­regt. Was er­war­tet mich dort? Kann ich den An­for­de­run­gen ge­recht wer­den? Ich habe schließ­lich kei­ne medi­zi­nische Aus­bil­dung. Ver­krafte ich die Er­leb­nisse vor Ort?
In Thessaloniki an­ge­kom­men wurde ich von Rose, der gu­ten Seele von DocMobile, herz­lich in Em­pfang ge­nom­men. Unter­ge­bracht waren wir in einer klei­nen Woh­nung im Stadt­teil Diavata, fern­ab von den Tou­ris­ten. Wir haben uns je­weils zu dritt ein Zim­mer ge­teilt. Eine klei­ne Küche, ein klei­nes Bad, was will man mehr. Ins­ge­samt waren wir in die­ser Woche zu neunt. Das deutsch/kana­dische/bri­tische Team be­stand aus einem Arzt, drei Ärz­tin­nen, einer Ret­tungs­sa­ni­tä­terin, einer Kran­ken­schwes­ter, einer Kin­der­ärz­tin, einer Phy­sio­the­ra­peu­tin und mir, also eine bunt ge­misch­te multi­na­tio­nale Truppe. Jede Woche rei­sen eini­ge ab und an­de­re an um in ihrem Urlaub Men­schen zu hel­fen.
Montag mor­gens ging es los. Unser Ein­satz­ge­biet war der „Car­park“. Ein drecki­ger, stau­bi­ger Platz, der nachts von Pros­ti­tu­ier­ten ge­nutzt wird, direkt neben dem Roh­bau eines Park­hau­ses, in dem die flüch­ten­den Män­ner wäh­rend ihrer Durch­reise über­nach­tet haben.
Wie sieht nun so ein ty­pischer Tag dort aus? Vor­mit­tags wurde unser zur mobi­len Arzt­pra­xis um­ge­bau­ter aus­ran­gier­ter Kran­ken­wa­gen vor­be­rei­tet. Medi­ka­men­te wer­den auf­ge­füllt, Wund­auf­la­gen wer­den zu­ge­schnit­ten, Un­men­gen von Was­ser­flaschen wer­den ge­füllt (die Men­schen haben kei­nen Zu­gang zu Trink­wasser). Um 13.30 Uhr geht es los. Wir fah­ren zum „Carpark“. Dort an­ge­kom­men, ent­sor­gen wir erst­mal ein dut­zend ge­brauch­te Kon­do­me und jede Menge Müll, Pro­duk­te der vor­he­ri­gen Nacht. An­schlie­ßend stel­len wir einen klei­nen Klapp­tisch für unser Ver­bands­mate­rial auf, zwei Hocker links und rechts und fer­tig ist unser „Ar­beits­platz“. Ab 14.00 Uhr kom­men dann die ers­ten Pa­tien­ten. Im Kran­ken­wagen ver­sorgt eine Ärz­tin die all­ge­mei­nen Er­kran­kun­gen, wie Kopf­schmer­zen, Übel­keit, Atem­wegs­in­fek­te, Krät­ze. Wir leis­ten auch eine Erst­ver­sor­gung bei Frak­tu­ren, Ver­stau­chun­gen und Prel­lun­gen, die sich die Men­schen beim Über­que­ren der Gren­zen, auch durch Poli­zei­ge­walt, zu­zie­hen.
Ich habe wirk­lich un­fass­bare Dinge dort ge­se­hen. Ge­bro­che­ne Rip­pen bei einem jun­gen Mann, der von einem LKW ge­stürzt war. Der nächste hat lan­ge Schnit­te vom Stachel­draht an der Gren­ze. Wie­der ein an­de­rer hat Ab­drücke von Gürtel­schnal­len auf der Haut, die ihm ein Poli­zist ver­passt hat. Auch alte Wun­den kom­men so zum Vor­schein. Ein Mann zieht sein T-Shirt aus und der Rücken ist vol­ler Nar­ben, es sieht aus als wäre er aus­ge­peitscht wor­den. Der pakis­ta­nische Junge neben mir, kaum 20 Jahre alt, hat eine alte Narbe von einem Durch­schuss im lin­ken Ober­arm.
Anne Kurdi verarztet eine Wunde, Foto: Privat
Aber zurück zu mei­nem Tag. Für uns vor dem Kran­ken­wa­gen geht es in erster Linie um die Wund­ver­sor­gung. Jeder Pa­tient er­hält von „Mama“ Rose eine Num­mer und es geht ohne Pro­ble­me der Reihe nach wei­ter. Die Män­ner setzen sich auf den Hocker und zei­gen uns ihr Pro­blem. Teil­weise hand­tel­ler­große Bla­sen an den Fü­ßen vom lan­gen Lau­fen in schlech­ten Schu­hen. Viele haben durch die Mos­ki­to­pla­ge im Som­mer und die man­geln­den hy­gie­nischen Be­din­gun­gen stark in­fi­zier­te Stiche an Ar­men und Bei­nen. Manch­mal ist die Haut vol­ler Ek­zeme, weil man ver­sucht hat, sich in schmut­zi­gen Ge­wäs­sern zu waschen. Wir säu­bern Wun­den, ra­sie­ren ggf. die be­trof­fe­nen Stel­len, des­in­fi­zie­ren, ver­sor­gen und ver­bin­den die Füße und Beine. Nach einer kur­zen Kaffee­pause geht es wei­ter. Die Sonne geht unter. Es wird lang­sam voll. Je spä­ter der Tag, desto mehr Män­ner fin­den sich auf unse­rem Platz ein. Wir holen die Taschen­lam­pen raus und machen wei­ter. Bei einem äl­te­ren Herrn, der weit mehr 24 Stun­den in nassen Schu­hen ge­lau­fen ist, müs­sen wir die sich lö­sen­de Haut an den Fü­ßen ab­schnei­den. Ich komme mir vor im Film, kann nicht glau­ben, dass ich tat­säch­lich dort sitze und all diese Sachen sehe und mache. Aber es macht rie­si­gen Spaß und es macht mich ein­fach glück­lich, nach einer Be­hand­lung in die dank­ba­ren Augen zu sehen.
Flüchtlinge beim Warten, Foto: Anne Kurdi
Auch um uns herum ist jede Menge los. Irgend­je­mand spielt auf der Gitarre, die wir jeden Tag mit­brin­gen. Etwas wei­ter ent­fernt spie­len ein paar Jungs mit unse­rer Phy­sio­the­ra­peu­tin Volley­ball. Auch einen Ra­sier­ap­pa­rat haben wir dabei der viel ge­nutzt wird. Je­mand ver­teilt bei Be­darf Zahn­bürs­ten mit einer klei­nen Por­tion Zahn­pasta an die Men­schen. Die Stim­mung ist trotz des gan­zen Leids un­glaub­lich gut.
Dann kommt das Essen und die Stim­mung kippt kurz, die Män­ner ver­wan­deln sich kurz­zei­tig in hungri­ge Wölfe.
Anne Kudi hilft bei der Essensverteilung, Foto: Privat
Die Orga­ni­sa­tion Soulfood Kitchen kocht je­den Tag 250 Por­tio­nen Essen. Einen Tag habe ich dort eben­falls ge­hol­fen. Au­ber­gi­nen, To­ma­ten, Zwie­bel schnei­den, spä­ter das fer­ti­ge Essen in klei­ne Alu­scha­len fül­len. Auch die­ser Tag war toll. Ein Leh­rer aus Den Haag ist grade für drei Wochen dort und hilft, ein Ita­lie­ner kocht, ein Syrer kommt täg­lich zum schnib­beln. Spä­ter beim Car­park ver­tei­len wir dann Zet­tel mit fort­lau­fen­den Num­mern. Jeder be­kommt ein Essen. Ich sitze im Kof­fer­raum und reiche die Schalen raus. Je­mand an­de­res reicht ein Glas Was­ser dazu. Mitt­ler­weile haben sich mehr als 200 Män­ner ver­sam­melt. Aber die Stim­mung ist super. Zu je­der Zeit. Alle sind so dank­bar und lieb. Als ich end­lich aus dem Auto klet­te­re bie­ten mir vie­le der Män­ner etwas von ihrem Essen an, ob­wohl das für sie oft die ein­zi­ge Mahl­zeit am Tag ist. Gegen 22.00 wird es ruhi­ger und wir packen zu­sam­men.
Insge­samt waren es un­glaub­liche Er­leb­nis­se und Mo­men­te die einen ein­fach über­wäl­ti­gen. Aber von der ers­ten Se­kun­de, von der ers­ten zu ver­sor­gen­den Wunde an, wusste ich, dass ich das kann und will. Sehr schnell habe ich all­eine ge­ar­bei­tet und konn­te so­wohl dem Team wie auch den Men­schen hel­fen, und das war ja mein Ziel.
Viele mei­ner Freun­de waren be­sorgt um mich, stän­dig zwischen so vie­len Män­nern, auf der Straße. Aber ich hatte nicht einen Mo­ment Angst. Die Men­schen dort sind un­sag­bar dank­bar, freund­lich, res­pekt­voll uns gegen­über.
Unterkunft der Flüchtlinge im Rohbau eines Parkhauses, Foto: Anne Kurdi
Ein eben­falls be­son­de­rer Mo­ment war mein Be­such in ihrer Unter­kunft, dem Roh­bau des Park­hau­ses. Ich durf­te einen kur­zen Bick hin­ein wer­fen. Die Män­ner schla­fen wenn sie Glück haben auf schmut­zi­gen Ma­trat­zen. Andere haben ein Stück Pappe oder Holz, auf dem sie lie­gen. Ihr Hab und Gut, in der Regel max. ein Ruck­sack, viel­leicht noch eine Decke oder ein Schlaf­sack, hängt an Me­tall­stan­gen, die aus den Wän­den kom­men, über­all Müll und Unrat. Alles sehr trau­rig an­zu­sehen. Trotz­dem lächelt dich jeder an.
Abends, wenn man dann zur Ruhe kommt, fragt man sich, wie schlimm muss es den meis­ten dieser Män­ner in ihrer Hei­mat gehen, dass sie die­se Reise und die­ses Leben auf sich neh­men.
Wieder zurück in Deutsch­land, wenn man aus der hei­ßen Dusche steigt, sich ins war­me Bett legt, weiß man, wie gut wir es alle haben. Es ist lei­der nicht selbst­ver­ständ­lich, zu essen wenn man Hun­ger hat, zu trin­ken wenn man durs­tig ist. Das ver­ges­sen wir glaube ich oft. Aber viel­leicht wissen Dank die­ses Be­rich­tes jetzt wie­der ein paar mehr Leute, ihr Leben zu schätzen.
Mein Fazit dieser Woche: Ich werde de­fi­ni­tiv wie­der nach Thessaloniki fahren!!!

Autorin

Anne Kurdi

Anne Kurdi

Anne Kurdi ist Mit­ar­bei­te­rin der Öffent­lichen Olden­burg. Sie ist als Sach­be­ar­bei­te­rin in der Lebens­ver­siche­rungs­ab­tei­lung tätig.

Mail an "Wir sind Nähe"

Infothek

Weitere Infor­­ma­­tio­­nen zu der Or­ga­ni­sa­tion "DocMobile – Medical Help e.V." fin­den Sie unter:

https://medical-volunteers.org/de/

https://medical-volunteers.org/de/wo-wir-arbeiten/#thessaloniki

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